Der Chesterton-Adventskalender 2024, Tag 18
vor 2 Stunden
Vade Retro Satana, Numquam Suade Me Vana
Für Eugen Sorg, den weitgereisten Reporter mit psychiatrisch belehrtem Blick, ist die Antwort klar. Das Böse ist eine Leidenschaft, die nur sich selbst kennt. Es ist keine Folge pathogener Zustände, keine Ausgeburt von Verzweiflung und keine Rache für erlittenes Unrecht. Das Böse ist auf der Welt, seit Menschen sich dazu entschließen, Böses zu tun. Die Übeltäter wissen genau, dass ihre Untaten unrecht sind. Aber der Spaß an der Grausamkeit ist größer als alle Hemmnisse. Bosheit ist durch keine Zivilisation zu tilgen. Menschen sind gewalttätig, nicht weil sie müssen, sondern wenn sie dürfen. Nicht soziale, seelische, politische oder kulturelle Umstände produzieren Gewalt. Sie eröffnen nur Gelegenheiten, welche die Subjekte allzu gern nutzen.
Der populäre Therapiekult glaubt beharrlich an die Heilbarkeit des Bösen. Aber wer Gewalt auf die Autoritätsbindung williger Befehlsempfänger zurückführt, unterschlägt den Spaß an der Schikane und die Eigeninitiative der Mörder. Wer auf biografische Defizite oder soziale Umstände setzt, streicht die Verantwortung von Tätern, die sich ihre Gelegenheiten kaltblütig und planmäßig selber schaffen. Und wer voller Empathie Terror und Attentate für die Sprache von Verzweifelten hält, der will nicht wahrhaben, dass die meisten Mörder weder arm, ausgegrenzt, ungebildet noch neurotisch sind.
Gegenüber Sorgs Ermittlungen nehmen sich die Erläuterungen des Tübinger Kinder- und Jugendpsychiaters Michael Günter geradezu beschwichtigend aus. Sie repräsentieren den therapeutischen Gewaltdiskurs nahezu in Reinkultur. Gewalttätigkeit ist danach keine Aktion, sondern eine Reaktion auf diverse psychische Notlagen. ... Immer sucht er nach dem seelischen Antrieb des Bösen, ohne indes über einen Begriff von Grausamkeit zu verfügen. Gewalt gilt ihm durchweg als Abwehr unliebsamer Gefühle von Unterlegenheit, Schuld, Wertlosigkeit oder Verlassenheit. Die Attacke auf anderer Personen Leben oder Unversehrtheit erscheint als defensive Maßnahme des Selbstschutzes. Diese Erwägung ist von gespenstischer Akrobatik. Der Täter wird zum Opfer umgetauft, zum unverstandenen, ausgegrenzten, gedemütigten oder missachteten Außenseiter, der sein Gleichgewicht nur zu erlangen vermag, indem er andere malträtiert, schikaniert, quält und tötet. Überall sieht der therapeutische Diskurs unbewusste Abwehrmechanismen am Werke und verfällt doch selbst einem wohlvertrauten Reflex: der Verkehrung ins Gegenteil. Aggression wird zum Schutzmanöver erklärt, Schädigung zur Selbstheilung, Bosheit zum Appell an gütliche Fürsorge.
Der therapeutische Blick verleugnet die Gewalt als Aktivität, den Exzess, den Lustzustand jenseits der Grenze. Und er hat keinerlei Sinn für den Ablauf der Gewalttat, in der psychische und soziale Tatsachen geschaffen werden, die in keinem Verhältnis zur Vorgeschichte stehen.
Der übliche Diskurs kreist um die Täter.